20

 

»Wo ist Baltic?«, fragte Aisling. Ihr Gesicht war rot und glänzte vor Schweiß. »Was ist da oben los ... Oh Gott, nicht schon wieder eine!«

Ich wartete, bis die Wehe vorbei war, dann übergab ich Drake die verschlossene Kassette mit den Phylakterien. Er erhob sich und brachte sie in den kleinen, innenliegenden Raum, der zu seiner Schatzkammer gehörte. Ich bemühte mich, mich nicht allzu neugierig umzuschauen, aber ich sah doch ein paar bekannte Gemälde an der Wand. Unwillkürlich fragte ich mich, ob die Museen wohl wussten, dass sie lediglich Fälschungen besaßen, ebenso wie bei den zahlreichen Gegenständen aus Gold, bei deren prachtvollem Anblick mir der Schweiß ausbrach.

»Möchtest du Cajun Chips?«, fragte René und hielt Aisling eine Packung Kartoffelchips hin. »Ich habe auch Orangenschokolade, wenn du lieber etwas Süßes ...«

»Keine ... Orange ..., nur ... Baltic«, keuchte Aisling und arbeitete sich durch die Wehe. Endlich war sie vorüber und sie winkte mir schwach zu. »Erzähl mir doch bitte, was passiert ist.«

Ich tat, was sie verlangte. »Baltic ist weg. Er ist wieder in der Schattenwelt verschwunden. Für jemanden, der den Titel Schreckenswyvern trägt, rennt er ganz schön schnell weg, wenn ein Kampf nicht nach seiner Nase geht.«

»Wir haben gespürt, wie sich das Herz neu geformt hat«, sagte Aisling. Sie trank einen Schluck Wasser. »Ist alles gut gegangen?«

»Ja.« Ich blickte zu Drake, der die Kassette unter dem Arm hielt. »Jetzt sind wieder alle fünf Stücke da. Gabriel möchte sie gerne sicher aufbewahrt wissen, bis sie ihren rechtmäßigen Besitzern wiedergegeben werden können.«

Drake ließ Aislings Hand los, nickte und legte die Kassette auf ein Regal. Noch einmal blickte ich mich um. »Du hast eine beeindruckende Kunstsammlung«, sagte ich zu Drake. »Allerdings nicht ganz so viel Gold, wie ich erwartet habe.«

Aisling lachte und zupfte an dem Laken, das sie bedeckte. Sie lag auf einer Art erhöhter Plattform, auf die eine Matratze gelegt worden war. »Du hast noch gar nicht gesehen, worauf ich hier liege, was? René, zeigst du es ihr?«

Es überraschte mich ein wenig, dass auch René in dem inneren Raum, in dem die Entbindung stattfand, zugegen war, aber Aisling machte es anscheinend nichts aus. Grinsend hob er eine Ecke der Matratze an, damit ich sehen konnte, was darunter war.

Es war kein Tisch, wie ich gedacht hatte, sondern eine lange Holzkiste mit Glasdeckel, die bis zum Rand mit Goldmünzen gefüllt war.

»Ich hoffe nur, dass Gabriel dich nicht zwingt, dein Kind auch auf so einer Goldkiste zu bekommen.« Aislings Lachen endete in einem Schmerzenslaut.

Kaawa kam angelaufen, als Drake Aisling in eine sitzende Position half, damit er sie beim Pressen unterstützen konnte.

Sie untersuchte Aisling, dann richtete sie sich wieder auf. »Das sieht gut aus«, sagte sie. »Noch ein paar Presswehen, und dann kommt das Köpfchen.«

»Ich muss gehen«, murmelte ich und wandte den Blick ab. Manche Dinge blieben besser ein Geheimnis, bis ich sie wirklich wissen musste. »Viel Glück, Aisling. Wir denken alle an dich.«

Stöhnend kniff sie die Augen zusammen, winkte mir aber zu. Anscheinend hatte sie mich gehört.

Ich verließ den inneren Raum und durchquerte den äußeren Raum. Am Eingang zur Schatzkammer hielt István Wache.

Er öffnete mir die Tür und fragte mich, wie die Geburt vorankam.

»Gleich kommt das Köpfchen, es wird also wahrscheinlich nicht mehr so lange dauern. Drake sieht erschöpft aus.«

István lächelte. »Hoffentlich geht es jetzt schnell. Drake hat mir gesagt, das wolle er nie wieder durchmachen.«

Lachend ließ ich mich von Gabriel, der vor der Tür auf mich gewartet hatte, in die Arme nehmen. Tief atmete ich seinen Duft ein. Kostya saß auf einer Bank und lehnte sich gegen die Wand. Tipene versorgte die Wunden an seinem Oberkörper. Cyrene umklammerte weinend seine Hand.«

Hast du Drake gesagt, dass ich Aisling gerne helfen würde? Hast du ihm gesagt, dass ich viel mehr Erfahrung mit Drachengeburten habe als meine Mutter?«, fragte Gabriel. Er knabberte an meinem Ohrläppchen, und mir liefen Schauer über den Rücken.

»Ja«, log ich.

»Du kannst nicht besonders gut lügen, Vögelchen. Wie geht es dir?«, fragte er.

Überrascht blickte ich ihn an.

»Du trägst das Stück Drachenherz nicht mehr in dir. Vermisst du es, oder ist es eine Erleichterung, dass es weg ist?«

Ich dachte daran, wie es gewesen war, den ersten Drachen zu sehen, von ihm gesehen zu werden. Er hatte mich anerkannt, mein Herz und meine Seele beurteilt und sie nicht selbstsüchtig gefunden. Ich dachte an die Weisheit in seinen Augen, an die Geschichte, die sie gesehen hatten und noch sehen würden, und lächelte. »Ich bin jetzt ein Drache. Das Drachenherz ist Teil von mir, so wie es Teil von dir ist. Nein, ich vermisse das Stück Drachenherz nicht. Es wird immer bei uns sein.«

»Der Kandidat hat zehn Punkte«, sagte eine mürrische männliche Stimme hinter uns. Jim stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, und blickte uns finster an.

»Kann ich jetzt meine großartige Gestalt zurückhaben? Oder soll ich sonst noch etwas für dich erledigen? Du hast mich zum Gespött aller Leute gemacht.«

»Oh, Jim, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht vergessen. Aber niemand spottet über dich. Eigentlich bist du in dieser Gestalt recht attraktiv. Sieht er nicht gut aus, Gabriel?«

»Äh.«

Ich stieß ihn in die Rippen.

»Für eine menschliche Gestalt ist er nicht gerade ekelerregend.« Gabriel zeigte seine Grübchen.

»Ignorier ihn. Du siehst sehr gut aus. Vor allem dein Grübchen im Kinn gefällt mir.«

»Also irgendwie fehlt ihm das gewisse Etwas«, erklärte Savian. Er lag vor der Sauna, um sich von den verschiedenen Traumata, die sein Körper erlitten hatte, zu erholen.

Jim kniff die Augen zusammen und blickte Savian, der nur mit einem Handtuch bekleidet war, missmutig an. »Drake würde ganz schön sauer, wenn er wüsste, dass die Tür zu seiner Sauna sperrangelweit aufsteht, obwohl sie an ist.«

Savian schürzte die Lippen und überlegte, ob ihm das etwas ausmachen würde.

»Hör nicht auf Savian - ihm passt es bloß nicht, dass er Konkurrenz auf dem Markt für ungebundene, attraktive Männer bekommen hat«, sagte ich zu ihm.

Gabriel kniff mich ins Hinterteil. »Du findest doch eigentlich mich attraktiv.«

Ich zog seinen Kopf zu mir herunter, um ihn rasch zu küssen. »Mehr als jeden anderen Mann auf diesem Planeten, aber ich sagte ungebundener attraktiver Mann.«

»Ja, ja, klar, gut aussehend.« Jim verzog das Gesicht. »Deshalb hat Aisling auch beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als ich zu ihr gegangen bin, um ihr zu helfen, wie du mir befohlen hattest.«

»Sie war wahrscheinlich nur überrascht«, erwiderte ich und leckte über Gabriels Unterlippe.

Er grollte und küsste mich mit all seinem Feuer, seiner Leidenschaft und seiner Liebe.

»Kaawa hat mich angeschrien, weil Aisling so gelacht hat, dass sie nicht auf ihre Wehen geachtet hat. Mit attraktiv hat das nichts zu tun, Schwester.«

Gabriel hob den Kopf. »Nenn sie nicht so.«

Ich lachte, als Jim zurückwich. »Na los, verwandle dich schon in deine Lieblingsgestalt. Später wird sich Aisling sicher bei dir bedanken, weil du ihr so geholfen hast.«

Der Dämon wurde wieder zu einem großen, schwarzen, zottigen Hund. Er seufzte vor Erleichterung. »Oh Mann, so ist es viel besser.« Dann schaute er mich erwartungsvoll an. »Und, was ist mit Baltic? Wieso liegt sein stinkender Kadaver nicht oben an der Treppe? Warum hat Savian darauf bestanden, dass Drake diese Rothaarige in den Vorratsraum eingeschlossen hat? Und warum ist Dr. Kostich so sauer?«

Bevor ich antworten konnte, öffnete sich die Tür zur Schatzkammer und Nora kam heraus. Aufgeregt verkündete sie: »Es ist soweit! Es ist ein Junge! Drake ist begeistert. Aisling ist wütend. Sie behauptet, Kaawa hätte einen Fehler gemacht, weil sie doch weiß, dass sie ein Mädchen bekommt, aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es ist ein Junge.«

Ich hinderte Gabriel daran, sich direkt in die Schatzkammer zu begeben. »Sag Aisling und Drake herzlichen Glückwunsch von uns, bitte.«

»Mayling, bitte lass mich los. Meine Mutter ist nicht so erfahren wie ich mit Drachen ...«

Ich hielt ihm den Mund zu und lächelte Nora an. Lachend ging sie wieder in die Schatzkammer.

»Deine Mutter macht das schon gut«, sagte ich zu Gabriel.

»Aber wenn du jetzt auftauchst, geht Drake in die Luft. Du bleibst hier und erklärst Dr. Kostich, was mit Baltic passiert ist, denn wenn er mich weiter anschreit, stehle ich ihm noch einmal was, und das gebe ich ihm dann nicht zurück.«

Gabriel lachte und zog mich an sich. »Na gut. Dann wollen wir mal nach oben gehen und mit unserem Erzmagier reden. Tipene hat seinen Arm mittlerweile bestimmt schon geheilt.«

Wir wandten uns der Treppe zu, aber in diesem Augenblick erschien Nora erneut. Ihr Gesicht war gerötet. »Es ist ... es ist ein Mädchen!« Wir blieben stehen und starrten sie an. »Hast du nicht eben gesagt, es sei ein Junge?«, fragte Cyrene. »Du hast doch nachgeschaut? Hat sie nicht gesagt, dass sie es überprüft hat?«, fragte sie Kostya. Er nickte.

»Ich habe also eine Nichte, keinen Neffen?«, fragte er.

»Nein, ihr versteht mich nicht - es ist auch ein Mädchen. Aisling hat Zwillinge bekommen. Ah ... richtige Zwillinge, nicht wie ihr beiden.« Sie blickte zwischen Cyrene und mir hin und her.

»Zwillinge. Dann gratulieren wir doppelt«, sagte ich. »Wie geht es Aisling?«

»Wesentlich besser als Drake«, kicherte Nora. »Was Namen angeht, so hatte Aisling sich für Iarlaith bei einem Jungen und Ilona bei einem Mädchen entschieden, also wird es wohl dabei bleiben. Ich muss jetzt wieder zurück. Als das erste Baby herauskam, ist René ohnmächtig geworden. Männer sind ja in dieser Hinsicht ein bisschen komisch. Ich muss ihn wiederbeleben. Heute ist so ein aufregender Tag!«

Nora verschwand wieder in der Schatzkammer.

Jim schnalzte mit der Zunge. »May, darf ich nach Paris, um Cecile zu besuchen, bis Aisling wieder normal ist?«

»Ja, wir schauen mal, ob du deine Freundin besuchen kannst, während Aisling sich erholt.« Ich scheuchte den Hund die Treppe hinauf. Oben im Flur blieben wir stehen.

Drake hatte zur Verstärkung zahlreiche grüne Drachen in seinem Haus versammelt, und sie waren jetzt dabei, aufzuräumen und die Schäden zu reparieren. Pál beaufsichtigte sie, und wir teilten ihm die Neuigkeiten gleich mit.

»Zwillinge, Mädchen und Junge. Aisling geht es gut. Drake ist völlig fertig und René ist ohnmächtig geworden.«

Pál lachte. »Er hat Aisling gegenüber mit seinen sieben Kindern geprahlt und wie sehr er seiner Frau im Kreißsaal geholfen hat. Deshalb hat sie ihn auch gebeten, bei ihr zu bleiben. Und er sollte Drake ablenken.«

»Na, das scheint ja nicht so besonders erfolgreich gewesen zu sein.«

»Ich bin erschöpft«, sagte Cyrene und zupfte Kostya am Ärmel. »Ich lege mich jetzt ein bisschen hin. Aisling und die Babys kann ich ja später besuchen. Kostya ist auch müde. Dieses ganze Kämpfen war anstrengend.«

Kostya blickte sie überrascht an, aber dann sah er das Glitzern in ihren Augen und stimmte ihr zu. »Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee«, sagte er grinsend. Kichernd rannte Cyrene die Treppe hinauf.

Ich schüttelte den Kopf und sagte leise zu Gabriel: »Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde.«

Er grinste mich an, und einen Moment lang überlegte ich, ob wir uns nicht auch hinlegen sollten.

»Wir haben noch viel zu tun«, sagte Gabriel, der mal wieder meine Gedanken las. »Aber später, wenn wir alles erledigt haben, tue ich all das mit dir, woran du jetzt denkst. Vor allem das Eine, wenn du auf allen vieren hockst, und ich dich von hinten ...«

Ich unterbrach ihn mit einem raschen Kuss, dann straffte ich die Schultern und trat ins Wohnzimmer.

Dr. Kostich war dort, aber er war nicht allein.

»Sally?« Anscheinend funktionierte mein Gehirn nicht richtig. Was um alles in der Welt tat der jüngste Dämonenlord in Abaddon in Aislings Wohnzimmer? Sie plauderte fröhlich mit Dr. Kostich.

»... Mama pflegte zu sagen, für alles gäbe es einen Platz, und ich habe das auch immer geglaubt, aber meine Zeit in Abaddon hat mir wirklich die Augen geöffnet. Heute weiß ich, dass meine liebe Mama einfach nicht recht hatte. Denn ehrlich, wie wollen Sie Portale erklären? Wenn Ihre Arkana-Magie wirklich so stark wäre, wie Sie behaupten, warum versiegeln Sie dann nicht einfach die Portale nach Abaddon, damit nichts Böses herausdringt? Aber das gelingt Ihnen nicht. Deshalb muss die schwarze Magie stärker sein. May! Du siehst ja schrecklich aus, Süße, wirklich schrecklich. Benutzt du nicht dieses Salzpeeling, das ich dir empfohlen habe?«

Sally hörte auf, Dr. Kostich die Hand zu tätscheln, was sicher gut war, denn er starrte sie völlig fassungslos an.

»Was tust du hier? Wie bist du hereingekommen?« Ich blickte mich um. Drake verfügte über eine Art Dämonenalarm, aber anscheinend war er bei dem Angriff außer Kraft gesetzt worden.

»Ph, ein paar wirklich nette Arbeiter haben mich hereingelassen, als sie hörten, dass ich eine Freundin von dir bin.« Sie lächelte ihr Haifischlächeln.

Dr. Kostich wandte seinen entsetzten Blick mir zu. »Diese ... Frau ... ist... Ihre ... Freundin?«

»Nun ...« Sally zog die Augenbrauen hoch. Ich räusperte mich. »Sally ist ein Dämonenlord, und sie war ein paar Wochen lang Magoths Lehrling. Ich kenne sie aus der Zeit, als ich in Abaddon gefangen gehalten wurde.«

»Ich verstehe.« Seine Augenbrauen gingen wieder herunter.

»Ja, da haben wir uns kennen gelernt, und wir hatten wirklich eine schöne Zeit, was, May? Wir haben über alle möglichen Frauenthemen geredet, zum Beispiel, wie man Blutflecken au Lederharnischen bekommt, und wie der Fluch auf Magoths Penis lautet. Aber ich bin wirklich eine dumme Plaudertasche. Da stehe ich hier und rede, und dabei brauchst du dringend ein bisschen Ruhe. Also komme ich direkt auf den Punkt: Ich bin hier wegen Magoth.«

»Agathos daimon - ist er draußen?«, fragte ich. Wie mochte er aus Akasha entkommen sein?

Sie warf mir einen strengen Blick zu. »Nein, und es war sehr ungezogen von dir, ihn zu verbannen, ohne Lord Bael Bescheid zu sagen. Er war sehr ungehalten, als er davon erfahren hat.«

»Wieso interessiert Bael sich dafür, was mit Magoth passiert?«, fragte Gabriel.

»Warum? Weil May an Magoth gebunden ist«, erwiderte Sally, als ob das alles erklären würde. »Und Magoth war einer der Fürsten unter Bael.«

»Das Schlüsselwort hier ist ›war‹«, warf ich ein.

»Genau.« Lächelnd tätschelte sie mir die Wange.

Ich schmiegte mich an Gabriel. »Sally, ich habe nicht mehr die Kraft, um Wortspiele zu spielen. Spuck einfach aus, was du zu sagen hast.«

»Nun, das will ich ja, aber ich muss sagen, dein Benehmen gefällt mir nicht«, sagte sie verärgert. »Du warst an den Dämonenlord Magoth gebunden, nicht wahr?«

»Ja«, erwiderte ich. Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Unwillkürlich drängte ich mich fester an Gabriel, der den Arm um mich legte.

»Aber Magoth ist in Akasha, und wenn man im Zwischenreich ist, kann man ja kein Dämonenlord sein, oder?«

»Nein, vermutlich nicht«, erwiderte ich misstrauisch. Mein ungutes Gefühl verstärkte sich.

»Magoth ist also kein Dämonenlord mehr, und deshalb ist auch deine Existenz negiert.«

Ich blinzelte sie verwirrt an. »Was soll das denn heißen?«

»Das soll heißen, Süße, dass du, um zu existieren, einem Dämonenlord dienen musst, und da Magoth ja keiner mehr ist, musst du an einen anderen Fürsten gebunden sein. Lord Bael hat sehr lange über dieses Problem nachgedacht und beschlossen, dass du an mich gebunden werden sollst. Also bin ich hierhergekommen, um deinen Treueschwur entgegenzunehmen. Danach können wir dann deinen Terminplan und deine Pflichten besprechen.«

Meine Verwirrung verwandelte sich in Entsetzen.

»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, erklärte Gabriel mit fester Stimme. »So etwas habe ich ja noch nie gehört, und ich werde es auch nicht dulden.«

»Ich kann dir versichern, dass es in der Doktrin des unendlichen Bewussten Vorkehrungen für diese Situation gibt. May war an Magoth gebunden, diese Gesetze haben für ihn gegolten, und deshalb unterliegt jetzt auch sie ihnen.«

Ich blickte Gabriel verzweifelt an. Ich wollte nicht an Sally gebunden sein. Ich wollte überhaupt an niemanden außer an Gabriel gebunden sein.

Gabriel kniff die schönen Augen zusammen. »Und was würde passieren, wenn Magoth in die Welt der Sterblichen zurückkehren würde? Wäre May dann noch immer an ihn gebunden?«

»Ja«, antwortete Sally und musterte ihre Fingernägel. »Aber darüber wäre Lord Bael sicher nicht glücklich, nein, wirklich nicht. Und du weißt doch, May, wie viel Spaß wir beiden miteinander haben könnten. Ich jedenfalls würde mich sehr freuen, sie hier an meiner Seite zu haben.«

Mir lief es eiskalt über den Rücken. »Hier? In der Welt der Sterblichen?«

»Ja, natürlich, Süße!« Ihr Lächeln wurde immer breiter, bis ich schließlich auch ihre hintersten Backenzähne sehen konnte. »Habe ich dir das nicht erzählt? Lord Bael findet, ich sei die richtige Person, um den Sterblichen das Konzept der Hölle auf Erden nahezubringen. Er ist wirklich ein solcher Schatz! Stell dir vor, ich als Herrscherin über alle Sterblichen! Da kann ein Mädchen schon Gänsehaut bekommen!«

Ich blickte Gabriel an. Gabriel blickte mich an. Dr. Kostich fluchte.

»Ich lasse ihn zurückholen«, sagte ich erschöpft.

Gabriel nickte und blickte einen Moment gedankenverloren vor sich hin. Auf einmal verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. »Ja, ich glaube, das könnte funktionieren.«

»Was könnte funktionieren?«, fragte ich. »Was für einen brillanten Plan hast du ausgeheckt?«

Erheitert musterte er Sally.

»Magoth hat doch keine Möglichkeit, aus Akasha heraus mit jemandem Kontakt aufzunehmen, oder?«, fragte er mich.

»Nein, auf gar keinen Fall.«

»Dann wirst du noch einmal dorthin gehen müssen, Vögelchen. Du machst ihm ein Angebot - er kann in die sterbliche Welt zurück, aber nur, wenn er einen Preis dafür bezahlt.«

Mit einem Schlag wurde mir klar, was er vorhatte.

»Oh, das wollt ihr doch sicher nicht machen«, sagte Sally, die mit dem Studium ihrer Fingernägel fertig war. »Lord Bael würde das gar nicht gefallen, und du willst ihn doch sicher nicht verärgern. Er ist jetzt schon nicht besonders glücklich über dich, aber wenn er wirklich böse wird? Nein, das würde ich dir nicht empfehlen.«

Ich begann zu kichern. »Ob Bael glücklich ist oder nicht, interessiert mich nicht mehr. Vor allem, wenn ich nicht mehr an Magoth gebunden bin.«

»Aber wie ...« Sie runzelte die Stirn, aber dann dämmerte auch ihr, was Gabriel vorhatte.

Dr. Kostich blickte uns nachdenklich an. »Clever. Sehr clever.

Aber das betrifft mich nicht. Ich muss jetzt meine Lehrlinge suchen, damit wir eine Klage gegen diesen Drachen vorbereiten können.«

Er verließ das Zimmer, und ich gab Gabriel einen liebevollen Kuss. »Sexy wie die Sünde, Grübchen, zum Sterben schön, Augen, mit denen man Eis zum Schmelzen bringen könnte, und dazu noch Verstand. Du, Sir, bist ein fabelhafter Drache.«

Lachend zog er mich an sich und küsste mich, bis ich mich schließlich von ihm löste. Sally verließ gerade das Zimmer.

»Wer bist du?«, rief Gabriel ihr zu.

Sie blieb stehen und blickte ihn verwirrt an. »Wie bitte?«

»Wer bist du?«

Sally tippte sich an die Stirn. »Er ist wohl doch nicht so intelligent, wie du gedacht hast, Süße.«

Aber mir war aufgegangen, warum Gabriel das gefragt hatte. »Du bist nicht wirklich ein Dämonenlord, oder?«

»Doch, natürlich«, erwiderte sie. »Lord Bael höchstpersönlich hat mich dazu gemacht.«

»Nein, ich meine, du bist von der Veranlagung her nicht wirklich ein Dämonenlord. Du bist zwar frech, und ich glaube, das gefällt dir alles großartig, aber du bist nicht ...« Ich suchte nach dem richtigen Wort. »Du bist nicht wirklich ... böse.«

Sie verzog beleidigt das Gesicht.

»Du hast noch nichts wirklich Böses getan«, erklärte ich. »Du redest zwar die ganze Zeit davon, aber deine Taten sprechen eine andere Sprache.«

»Sag mir doch auch nur eine gute Tat, die ich begangen habe.« Sie blitzte mich streitlustig an. »Nur eine!«

»Ich kann dir sogar drei aufzählen. Du hast mich in Paris vor dem Diebesfänger gerettet.«

»Das habe ich dir doch damals schon gesagt - das waren die Guten. Von denen halte ich nichts«, erwiderte sie.

»Oh, oh. Dann hast du Magoth erklärt, dass er mit mir als Gemahlin Abaddon verlassen und wieder in die moderne Welt zurückkehren könnte.«

»Ich sehe nicht so ganz, was so gut daran sein soll, einen Dämonenlord auf die sterbliche Welt loszulassen«, sagte sie spöttisch.

»Einen, der überhaupt keine Macht mehr besitzt? Im Gegenteil, das war sehr clever«, warf Gabriel ein. »May konnte so zu mir zurückkehren.«

Ich nickte. »Und ich zweifle nicht daran, dass du Bael überredet hast, Magoth für immer auszustoßen, so dass er auf ewig machtlos bleibt.«

Sie wandte den Kopf ab, aber ich hätte schwören können, dass ein leises Lächeln um ihre Mundwinkel spielte. »Das war nur die unglückselige Konsequenz aus dem wirklich exzellenten Plan, euch beide zu treffen.«

»Und jetzt bist du hier und warnst uns, dass wir etwas unternehmen müssen, damit Bael nicht meine Bindung an Magoth beansprucht. Und letztendlich bietest du mir damit einen Weg, mich für immer von Magoth zu befreien. Eine böse Person täte das nicht.«

»Glaubst du?« Sie verzog das Gesicht. »Du wirst Magoth für den Rest deines Lebens am Hals haben. Wenn das nicht böse ist, dann weiß ich es nicht.«

»Das ist zwar ärgerlich, aber nicht böse. Solange ich nicht mehr an Magoth gebunden bin, kann ich es ertragen, dass er mir etwas vorjammert«, sagte ich.

»Wer bist du also?«, fragte Gabriel und trat einen Schritt auf sie zu. »Vom Hof des Göttlichen Blutes kannst du nicht sein. Das würde Bael sofort erkennen. Eine Hüterin bist du auch nicht. Du bist noch nicht einmal unsterblich - oder du warst es nicht, ehe du Dämonenlord geworden bist. Was bleibt denn da noch?«

Sally schwieg und blickte ihn an. Ihr Blick war scharf wie eine Peitsche, aber auch leicht amüsiert. Sie lächelte nur und ging dann zur Tür.

»Was glaubst du?«, fragte ich Gabriel. »Könnte es ein Glamour sein, um uns zu verwirren?«

»Nein.« Er rieb mir den Rücken. »Ich weiß nicht, wer sie ist, aber ich weiß, dass sie sich als wahre Freundin erwiesen hat, und das werde ich nicht vergessen.«

»Ich frage Nora, ob sie bereit ist, mich nach Akasha zu schicken«, sagte ich und wandte mich zur Tür. »Ich glaube, diesen Besuch werde ich sehr genießen.«

Es dauerte fast fünf Stunden, bis ich in Akasha mit Magoth um meine Freiheit verhandelt hatte. Aisling, erzählte Gabriel mir später, hatte zuschauen wollen, wie Nora mich verbannte und zurückholte, aber Drake erlaubte ihr nicht, das Bett zu verlassen, und wahrscheinlich war sie zu diesem Zeitpunkt auch noch dankbar dafür.

Gabriel erwartete mich schon, als Nora mich zurückrief. Ich sank ihm in die Arme und klammerte mich an ihn, um den Abgrund an Verzweiflung zu vergessen, der Akasha erfüllte.

»Vögelchen«, murmelte er in meine Haare, während seine Hände über meinen Körper glitten, um sicherzustellen, dass alles noch heil war. »Du zitterst ja.«

»Nur vor Glück«, sagte ich und ließ mich von ihm mit Drachenfeuer erfüllen.

Plötzlich erstarrte Gabriel, und ich fühlte ein kaltes Rauschen im Rücken.

»Es reicht jetzt«, giftete Magoth uns an. »Wo ist das Dokument, das ich unterschreiben muss?«

Gabriel wies zum Tisch. Fluchend las Magoth die Trennungsdokumente durch. Er knirschte zwar mit den Zähnen, aber er unterschrieb sie. Gabriel reichte ihm ein Messer, und er ritzte sich in den Daumen. Mit dem Blut besiegelte er seine Unterschrift. »So, jetzt bin ich endlich von deiner Undankbarkeit befreit«, fuhr er mich an.

»Noch nicht ganz«, sagte Gabriel und schob ihm ein weiteres Blatt Papier zu. »Das musst du auch noch unterschreiben.«

Ich verrenkte mir den Hals, um zu sehen, was darauf stand. »Eine Scheidungsurkunde?«

Gabriel zwinkerte mir zu. »May wird nur meine Frau sein.«

Magoth verdrehte zwar die Augen, unterschrieb aber auch dieses Dokument.

»Das brauchst du doch nicht«, murmelte ich der Liebe meines Lebens zu. »Ich bin doch keine Sterbliche. Konventionen wie die Ehe bedeuten mir nichts.«

»Ich weiß. Er soll bloß aufhören, dich als seine Gemahlin zu bezeichnen«, erwiderte Gabriel. »Außerdem möchte meine Mutter, dass wir vor ihren Verwandten heiraten, und das macht alles einfacher.«

»Erledigt! « Magoth knallte Füller und Messer auf den Tisch. »Und jetzt seid ihr mir etwas schuldig.«

»Wir haben dir gerade die Freiheit gegeben. Was sollen wir dir denn noch schulden?«, fragte ich ihn.

Er grollte. »Ihr werdet mir sagen, wo diese Verräterin Sally ist. Sie wird für ihre Perfidie bezahlen - das schwöre ich. Sagt mir, wo sie sich aufhält, damit ich Rache an ihr nehmen kann.«

»Ich glaube, sie sagte, sie wolle nach Los Angeles gehen«, erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ja, genau, das sagte sie.«

»Dann will ich auch dorthin gehen«, erklärte Magoth. »Los Angeles! Die Stadt der Engel wird weinen, wenn ich mit der Suche nach ihr dort fertig bin! Auf Wiedersehen, frühere Gemahlin. Auf dich komme ich noch zurück, wenn ich Sally bestraft habe.«

Und mit einer dramatischen Geste, die einen Shakespeare- Schauspieler stolz gemacht hätte, verließ er das Zimmer.

Nora hatte während des ganzen Gesprächs geschwiegen. Jetzt blickte sie nachdenklich zur Tür und fragte: »Warum ist er denn so wütend auf Dämonenlord Sally?«

»Wahrscheinlich, weil ich ihm erzählt habe, dass hinter allem, einschließlich seiner Verbannung nach Akasha, Sally gesteckt hat.«

Sie betrachtete mich hinter ihrer rot gerahmten Brille. »Aber das stimmt nicht.«

»Nein, aber dann hat er etwas, worauf er seine Wut richten kann.«

Sie wirkte leicht verwirrt. »Ihr habt doch gesagt, ihr betrachtet Sally als eure Freundin.«

»Das tun wir auch.«

»Und trotzdem setzt ihr Magoth auf sie an?«

»Nein, nicht wirklich. Wir haben ihm gesagt, sie sei in Los Angeles, aber da ist sie gar nicht. Sie wollte nach Deutschland gehen.«

»Aber meinst du nicht, er merkt, dass sie gar nicht da ist, und kommt postwendend wieder zurück?«

»Ich bezweifle, dass er überhaupt noch einen Gedanken an sie verschwendet, wenn er erst einmal wieder in Los Angeles ist. Im Grunde ist er wirklich ein Einfaltspinsel. Er wird sich wieder in den ganzen Glitzer und Glamour Hollywoods verlieben und sich in die Schauspielerszene stürzen. Er hat seine Zeit dort wirklich geliebt, weißt du. In ein paar Jahren können wir ihn bestimmt wieder auf der Leinwand bewundern.«

Nora lächelte. »Das war sehr geschickt von dir. Herzlichen Glückwunsch zu eurer Freiheit und zu eurer bevorstehenden Eheschließung. Wenn ihr mich nicht mehr braucht, möchte ich jetzt noch mal nach Aisling sehen. Sie ist ein bisschen einsam i Moment, weil Jim für ein paar Tage bei Cecile in Paris ist, und ich muss ihr noch sagen, dass er heil dort angekommen ist.«

»Das Leben«, sagte ich zu Gabriel und küsste ihn auf die Nasenspitze, »könnte nicht schöner sein.«

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